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Mit Psilocybin gegen Depression

Das Team der EPIsoDE-Studie unter Leitung von Prof. Dr. Gerhard Gründer untersucht die Wirkungsweise von Psilocybin, dem Wirkstoff aus halluzinogenen Pilzen, bei therapieresistenten Depressionen.

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Substanzen wie Psilocybin können die Wahrnehmung, das emotionale Erleben und das Bewusstsein tiefgreifend verändern. Dies macht sie für die Behandlung psychischer Erkrankungen interessant. Foto: iStockphoto.com © kamisoka

Wenn es Lia schlecht geht, bleibt sie im Bett und zieht sich von ihrer Außenwelt zurück. Sie reagiert dann nicht auf Nachrichten oder Anrufe. Sie hat keine Kraft. „Die Depression ist eine Art graue Wolke, die mein Gehirn einnimmt,“ sagt Lia.

Klaus beschreibt seine Depression als Gleichgültigkeit und Getrenntsein von den eigenen Gefühlen: „Es war das Schlimmste, das Leben nicht mehr fühlen zu können. Nur noch zu funktionieren.“

Lia und Klaus sind ProbandInnen der EPIsoDE-Studie. Ihre Depressionen gelten als behandlungsresistent. Das heißt, die gebräuchlichen Psychopharmaka wirken bei ihnen kaum. Sie sind zwei von insgesamt 144 ProbandInnen in der deutschlandweit größten Studie zur Wirksamkeit und Sicherheit von Psilocybin in der Depressionstherapie. Die Studie wird vom ZI gemeinsam mit der Charité in Berlin und der gemeinnützigen Organisation MIND Foundation durchgeführt und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. Untersucht wird, ob und wie gut die Gabe von Psilocybin in Kombination mit Psychotherapie bei behandlungsresistenten Depressionen hilft.

„Psilocybin ist eine psychedelisch wirkende Substanz, die in einigen Pilzarten vorkommt. Unsere Untersuchungen sollen zeigen, ob Psilocybin eine bessere antidepressive Wirksamkeit hat als ein Placebo. Gleichzeitig erfassen wir dabei auch mögliche Risiken der Therapie für unsere PatientInnen“, erläutert Studienleiter Prof. Dr. Gerhard Gründer, der am ZI die Abteilung Molekulares Neuroimaging leitet.

Sind Psychedelika die Lösung?

Psychedelika oder auch Halluzinogene sind Substanzen, die das Bewusstsein, die Wahrnehmung und das emotionale Erleben verändern. Sie ermöglichen neue Erfahrungen und setzen Veränderungsprozesse in Gang. Seit Jahrtausenden werden sie in indigenen Heilsystemen für schamanische Rituale eingesetzt: das DMT der Ayahuasca-Liane, das Meskalin des Peyote-Kaktus oder psilocybinhaltige Pilze. Psychedelika können dafür sorgen, dass alte Denk- und Verhaltensmuster aufgebrochen werden. Das macht sie für die Behandlung psychischer Erkrankungen interessant. Sie verändern dabei nicht nur unser subjektives Erleben, sondern beeinflussen auch unser Gehirn. Verknüpfungen von Nervenzellen, die sich bei einer Depression zurückbilden, können durch psychedelische Substanzen wieder neue Strukturen herausbilden.

Dr. Andrea Jungaberle, Mitbegründerin der MIND-Foundation und Teil des Studienteams an der Berliner Charité, vergleicht diesen Prozess mit einer Schneekugel in Bewegung: „Psychedelika haben die Fähigkeit, Dinge durcheinander zu schütteln. Und das ist der Grund, warum sie so wunderbar funktionieren.“ Die Partikel, die in der Schneekugel aufwirbeln, landen plötzlich ganz woanders als zuvor. So eröffnen sich nach einer Erfahrung mit Psychedelika ganz neue Gedanken und Perspektiven. Statt wie medikamentöse Therapien einen Mangel im Gehirn zu beheben, soll Psilocybin den Blick auf das verändern, was bereits da ist.

Nicht alle machen dabei positive Erfahrungen. Halluzinationen können auch Ängste auslösen oder tief Verdrängtes ins Bewusstsein zurückholen. „Viele PatientInnen erleben sich während und nach der psychedelischen Erfahrung mit Psilocybin als emotional geöffnet, sensibler und in Kontakt mit ihren tiefen emotionalen Wunden. Das kann sehr schmerzhaft sein“, erläutert Lea Mertens, Studienkoordinatorin und Studientherapeutin am ZI. Viele Menschen haben daher Angst vor einer psychedelischen Erfahrung. In der Tat sei Respekt angebracht, erklärt Gründer. „Aber man muss keine Angst haben. Wenn Angst während der Erfahrung auftritt, ist das möglicherweise etwas, das am Ende sehr hilfreich ist.“ Mertens ergänzt: „Ähnlich wie in der regulären Psychotherapie liegt in der Konfrontation der eigenen Ängste und der Auseinandersetzung mit schwierigen Erfahrungen der Schlüssel der Verarbeitung.“ Wichtig für die Wirksamkeit, aber auch für die Sicherheit dieser Therapie sei die therapeutische und ärztliche Begleitung, sind sich Gründer und Mertens einig.

Psychedelika in der Forschung

Dass Psychedelika wie Psilocybin oder auch LSD eine besondere Wirkung im Gehirn zeigen und psychische Probleme lindern können, ist keine neue Erkenntnis. Schon in den 1950er und 1960er Jahren wurden Psychedelika weltweit an rund 40.000 PatientInnen erforscht – mit vielversprechenden Ergebnissen. Die Studien zeigten eine Verbesserung der Depressionssymptome bei einem Großteil der Betroffenen. Auch bei Alkoholabhängigkeit oder Krebs im Endstadium wurden sie in dieser Zeit bereits eingesetzt.

Aber auch als Partydroge wurden Psychedelika damals immer beliebter. Die Hippie-Bewegung entdeckte sie für sich, um die bürgerliche Welt und ihre Konventionen hinter sich zu lassen. Negative Schlagzeilen über die Schattenseiten von Psychedelika rückten damit stärker ins Blickfeld. Ende der 1960er Jahre wurde diese Entwicklung schließlich gestoppt: Alle klassischen Psychedelika von Psilocybin bis LSD wurden zunächst in den USA, dann weltweit verboten. Ihr Konsum verlagerte sich in den Untergrund, die Forschung auf diesem Gebiet kam zum Erliegen. Erfolgsversprechende Ansätze wurden auf Eis gelegt und Psychedelika weitestgehend aus den Lehrmaterialien verbannt. Erst seit den 2000er Jahren sind sie wieder verstärkt in den Fokus der psychopharmakologischen Forschung gerückt. Die Renaissance der Psychedelika ist in vollem Gange. Erstmals werden die Substanzen in modernen klinischen Studien auf ihre Sicherheit und Wirksamkeit untersucht.

Bisherige Pilotstudien zu Psilocybin deuten darauf hin, dass die Substanz sicher und gut verträglich ist, wenn persönliche Risikofaktoren ausgeschlossen sind und sie in einem kontrollierten therapeutischen Setting verabreicht wird. Die EPIsoDE-Studie untersucht dieses Potenzial nun genauer und ist damit eine der größten Studien dieser Art.

Die EPIsoDE-Studie

An der 2021 gestarteten klinischen EPIsoDE-Studie (Efficacy and safety of Psilocybin In treatment-resistant major Deression) nehmen 144 ProbandInnen mit behandlungsresistenten Depressionen im Alter von 25 bis 65 Jahren teil. Alle bekommen zwei sechs- bis achtstündige Substanzsitzungen im Abstand von sechs Wochen. Unter therapeutischer Begleitung erhalten sie entweder eine hohe Dosis des Wirkstoffs Psilocybin, eine niedrige Dosis oder ein Placebo-Präparat. Die Studie ist so angelegt, dass alle ProbandInnen garantiert in einer der beiden Sitzungen eine hohe Dosis erhalten werden. Um die Erfahrungen zu verarbeiten, werden die Teilnehmenden drei Monate lang therapeutisch begleitet. Dazu gehören Vorbereitungssitzungen und Integrationssitzungen, in denen die Erfahrungen in einen persönlichen Sinnrahmen eingebettet werden. Es folgen Nachuntersuchungen, um die Langzeitwirkung zu erfassen.

Die intensiven Momente, die ProbandInnen in einer solchen Sitzung erleben, sind auch für die begleitenden TherapeutInnen eine besondere Erfahrung. Studienleiter und Therapeut Gründer sagt: „Es ist nicht nur die wichtigste Studie, die ich bisher gemacht habe, sondern auch die bewegendste. Das, was wir da im Therapieraum mit den PatientInnen erleben, sind für mich als Therapeut die berührendsten Erlebnisse meiner beruflichen Laufbahn.“

Die Studie wird voraussichtlich Ende 2023 abgeschlossen sein, mit den finalen Ergebnissen ist Anfang 2024 zu rechnen. „Bis zu einer möglichen Zulassung dieser Therapie in Deutschland und dem Rest Europas ist es aber noch etwas hin. Es braucht noch weitere, noch größere, multizentrische, sogenannte Phase-3-Studien mit positiven Ergebnissen. Auch die Frage der Kostenerstattung durch die gesetzlichen Krankenkassen beschäftigt uns sehr und fließt in die Planung weiterer Studien mit ein“, erläutert Gründer.

Eine mystische Erfahrung?

Bei Probandin Lia hat sich durch die Sitzungen etwas verändert. „Ich hatte davor nicht denselben Zugang zu mir selbst, den ich gestern erlebt habe. Das war, als ob einfach keine Blockaden mehr wären zwischen mir und mir selbst“, sagt sie nach ihrer ersten Erfahrung mit Psilocybin. Für Klaus geht es noch einen Schritt weiter: „Es ist die lebensveränderndste Erfahrung, die ich jemals gehabt habe.“

Viele Menschen berichten nach einer psychedelischen Erfahrung von einem Gefühl der Verbundenheit mit allem oder von Begegnungen mit anderen Wesen. Diese Menschen haben den Eindruck, ihre Erfahrung nicht festhalten und in Worten ausdrücken zu können. Man spricht hier auch von einer mystischen Erfahrung, einer Erfahrung, die alles bisher Erlebte übersteigt. Auch einige Teilnehmende der EPIsoDE-Studie beschreiben derartige Erlebnisse und sind überwältigt – aber bei weitem nicht alle. Während manche eine völlig neue Sicht auf ihr Dasein zu bekommen scheinen, passiert bei anderen kaum etwas.

Auch die Dauer der Wirkung im Nachhinein ist individuell sehr unterschiedlich: Von keiner Veränderung bis hin zu einem halben Jahr oder längerer Symptomfreiheit ist alles dabei. Eine Schwierigkeit, die hierbei auf die ProbandInnen zukommt, ist die Integration des Erlebten in den Alltag. Welche Faktoren letztlich darüber entscheiden, wie nachhaltig eine psychedelische Therapie im Einzelfall ist, ist noch völlig unklar. Dies kann nur durch weitere Studien genauer untersucht werden. Sicher ist aber: Mit einer psychedelischen Erfahrung allein sind nicht alle Probleme auf einen Schlag verschwunden. Die Erfahrung ist ein Türöffner, der mögliche Beginn einer Veränderung.

Blick in die Zukunft

Wie wird die Wiedereinführung von Psilocybin die Forschung und die Behandlung von Depression verändern? Enorm, meint Gründer: „Ich glaube, dass wir vor einem Paradigmenwechsel in der Psychiatrie stehen.“ Psychische Erkrankungen werden bisher häufig mit Fehlfunktionen des Gehirns in Verbindung gebracht, die nur durch eine dauerhafte medikamentöse Therapie behandelt werden können. Studien mit Psilocybin zeigen jedoch, dass bereits nach einer einzigen Sitzung eine nachhaltige Besserung der Erkrankungssymptome eintreten kann. Die EPIsoDe-Studie könnte somit nicht nur zur Entwicklung einer neuen Behandlungsmethode beitragen, sondern auch unser Verständnis von psychischen Erkrankungen und psychischem Erleben verändern.

Noch gibt es viele offene Fragen, die in weiteren Studien untersucht werden müssen. Was verändert sich, wenn die Substanz häufiger gegeben wird? Wie wirkt Psilocybin über einen längeren Zeitraum? Wie lassen sich die Substanzsitzungen am besten mit der Psychotherapie verknüpfen? Nur auf diesem Weg kann eine seriöse und sichere Therapie gewährleistet werden.

Auch wenn das gesellschaftliche Interesse stetig wächst und die Erwartungen enorm sind, braucht es weiterhin Geduld sowie Aufklärung über die Möglichkeiten und Grenzen der Substanz. Ja, Psilocybin hat das Potenzial, vielen Menschen zu helfen. Dennoch: Psilocybin ist kein Allheilmittel und birgt auch Risiken. Ein Blick auf Psychedelika jenseits von Angst und Hype – das ist das Anliegen des EPIsoDE-Studienteams.



Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) - https://www.zi-mannheim.de