Ein wichtiger Forschungsschwerpunkt des ZI liegt darauf, die Entstehung und die Ursachen psychischer Erkrankung und Gesundheit zu untersuchen. Ziel ist es, psychische Erkrankungen besser zu verstehen, zu erkennen und neue Therapien zu entwickeln. Um Zusammenhänge zwischen Erkrankungssymptomen und biologischen Mustern zu identifizieren, sind möglichst viele klinische Daten von Menschen mit psychischen Erkrankungen notwendig. Deshalb ist die klinisch-wissenschaftliche Charakterisierung aller Patienten ein wesentlicher Fokus in der translationalen Strategie des Instituts. Die neu etablierte Organisationsstruktur bei der Aufnahme von Patienten verbindet nun die Anforderungen von Klinik und Forschung: eine datenunterstützte Behandlung und eine patientennahe Forschung.
Schnittstelle zwischen Krankenversorgung und Forschung
Mit dem Diagnose- und Aufnahmezentrum (DAZ) ist eine vorgeschaltete erste Anlaufstelle innerhalb der Strukturen der Zentralambulanz entstanden, die alle ambulanten und (teil-) stationären Patientinnen und Patienten durchlaufen. Vorerst werden Patienten der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, der Klinik für Abhängiges Verhalten und Suchtmedizin sowie der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin diagnostiziert. Künftig sollen alle Patienten des ZI diesen Weg gehen.
Seit Anfang Juni 2024 werden im DAZ Patienten auch umfassend darüber informiert, welche Daten während ihrer Behandlung erhoben werden und wie sie mit ihren Daten freiwillig die medizinische Forschung unterstützen können. Zusätzlich erfolgt eine breite, standardisierte Diagnostik, bei der Daten als Basis für die weitere Behandlung erhoben werden. Das DAZ bildet damit eine wichtige Schnittstelle zwischen Krankenversorgung und Forschung und integriert die Bedarfe beider Bereiche.
Der einheitliche Datensatz, der am ZI verwendet wird, ist modular aufgebaut und basiert auf dem gemeinsamen Kerndatensatz der Medizininformatik-Initiative (MII). Die am ZI zusätzlich erhobenen Daten sind mit den Partnern im Deutschen Zentrum für Psychische Gesundheit (DZPG) abgestimmt, um künftig harmonisierte Datenquellen gemeinsam nutzen zu können. Erfasst werden unter anderem Daten zur Person und zum Lebensumfeld, zu Laborbefunden, zu Diagnosen und Behandlungen sowie zur psychischen Verfassung. Zusätzlich können Biomaterialien wie Blut- und Gewebeproben abgegeben und in der Biobank des ZI eingelagert werden. Willigen Patienten ganz oder teilweise in die Module dieses Broad Consent ein, unterstützen sie damit die Arbeit der Forschenden am ZI und innerhalb des DZPG sowie perspektivisch bundesweit über die MII. „Die bisherigen Erfahrungen zeigen eine große Bereitschaft bei den Patientinnen und Patienten, ihre Daten insgesamt oder in Teilen für die Forschung zur Verfügung zu stellen. Insbesondere wenn sie sehen, dass die erhobenen Daten sowohl ihnen konkret in der Behandlung als auch anderen Patienten helfen können, stimmen viele von ihnen gerne und vollumfänglich zu, sagt Dr. Urs Braun, Leiter des DAZ.
Maßgeschneiderte Behandlungsplanung
Unabhängig davon, welche Einwilligung nach der Aufklärung über den Broad Consent gegeben wird, werden alle Patienten diagnoseübergreifend charakterisiert. Das geschieht durch eine einheitliche psychologisch-psychiatrische Diagnostik, einschließlich labormedizinischer und elektrokardiologischer Untersuchungen. Auf Basis dieser ausführlichen Informationen können die Behandlerinnen und Behandler datengestützt entscheiden, welche weitere Diagnostik und welches Behandlungsangebot am besten geeignet ist. Zudem kann den Patienten eine Teilnahme an relevanten Studien, die Behandlungselemente enthalten, empfohlen werden. „Insgesamt erleben wir eine hohe Akzeptanz der neuen Struktur. Patientinnen und Patienten empfinden die umfassende Diagnostik als nützlich für ihre Behandlung und Behandelnde profitieren bei der individuellen Therapieplanung von der umfassenden Informationserhebung und gezielten Zuweisung“, sagt Dr. Oliver Hennig, Leiter der Zentralambulanz.
Hochsensible Daten sicher verarbeiten und austauschen
Damit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit den erhobenen Daten forschen können, wird am ZI eine IT-Infrastruktur zur datenschutzkonformen Speicherung und Auswertung der Broad Consent-Daten aufgebaut. Die unabhängige Treuhandstelle pseudonymisiert die medizinischen Daten und gewährleistet so den Datenschutz während des gesamten Prozesses der Datenverarbeitung. Zudem verwaltet die Treuhandstelle die Einwilligungserklärungen in den Broad Consent und die Widerrufe von Patienten.
Im künftigen Datenintegrationszentrum (DIZ) werden die pseudonymisierten Daten übernommen, aufbereitet und in auswertbarer Form gespeichert. Forschende des ZI können die passenden Daten für ihre Studie anhand definierter Kriterien anfragen. Die Dateninfrastruktur wird es perspektivisch auch ermöglichen, potenzielle Probandinnen und Probanden aus dem Datenpool für neue Studien zu kontaktieren, sofern die Personen im Vorfeld einer Kontaktaufnahme zugestimmt haben. In allen Fällen der Datenabfrage entscheidet das Use & Access Committee nach einem Votum durch die lokale Ethikkommission darüber, ob Daten für Studien am ZI freigegeben werden. In Zukunft sollen die Daten mit Partnern im DZPG und in der bundesweiten MII standortübergreifend ausgetauscht und für die medizinische Forschung genutzt werden.
Basis für die Anwendung Künstlicher Intelligenz in der Forschung
Durch die Arbeit des DAZ werden kontinuierlich Gesundheitsdaten erfasst. So entsteht allmählich eine einzigartige Datenbank mit klinischen Daten und Bioproben über die Lebensspanne sowie entlang des gesamten diagnostischen und therapeutischen Prozesses. Diese großen und qualitativ hochwertigen Datenmengen sind die Voraussetzung, um Künstliche Intelligenz für Forschungs- und klinische Zwecke anwenden zu können.
Am ZI führt beispielsweise das Hector Institut für Künstliche Intelligenz in der Psychiatrie (HITKIP) wissenschaftliche Daten mit Informationen aus der klinischen Versorgung zusammen. Durch die Analyse dieser Daten können neue Zusammenhänge, etwa zwischen Erkrankungssymptomen und biologischen Mustern, erkannt werden. Die Forschenden entwickeln daraus Modelle, um die Behandlung an persönliche Risiko- und Schutzfaktoren anzupassen. So gelangen die wissenschaftlichen Erkenntnisse in die Versorgung von Patienten und es können neue Wege beschritten werden, um psychische Erkrankungen noch effektiver zu behandeln oder sogar zu verhindern.
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