Ein neues Amyloid-Antikörper-Medikament hat das Potenzial, den kognitiven Verfall bei Alzheimer-Patientinnen und -Patienten im Frühstadium der Erkrankung zu verlangsamen. Das geht aus einer nun veröffentlichten Studie im New England Journal of Medicine hervor, an der auch das Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) in Mannheim beteiligt ist. Der Antikörper Lecanemab dockt im Gehirn an das Eiweiß Amyloid-beta an, das sich dort in Form sogenannter Plaques ablagert. Bei den behandelten Patientinnen und Patienten konnte dadurch der Ablagerungsprozess verlangsamt werden. Die Plaques gelten als ein maßgebliches Kennzeichen von Alzheimer und sind eine der Ursachen der Erkrankung. Deren genaue Entstehung ist noch nicht vollständig geklärt.
Neue Ära der Alzheimer-Therapie
„Endlich haben wir eine überzeugend positive Studie, die niemand mehr aus methodischen Gründen infrage stellen kann. Das kann der Beginn einer neuen Ära der Alzheimertherapie werden“, sagt Prof. Dr. Lutz Frölich, Leiter der Abteilung Gerontopsychiatrie am ZI und Mitautor der Studie.
Das Medikament Lecanemab wird von den Unternehmen Biogen und Eisai entwickelt. Für die Phase-III-Studie wurden weltweit 1.795 Menschen im Frühstadium der Alzheimer-Krankheit einbezogen, acht davon in Mannheim am ZI. In diesem Stadium der Erkrankung steht die Vergesslichkeit im Zentrum der Symptomatik, die Betroffenen sind dabei noch alltagskompetent. Nur in diesem Stadium ist diese Behandlung sinnvoll. Die Hälfte der Teilnehmerinnen und Teilnehmer erhielt über 18 Monate alle zwei Wochen das Medikament Lecanemab als intravenöse Infusion, die andere Hälfte bekam eine Scheinsubstanz.
Erkrankung wird verlangsamt
Am Ende der Studie zeigte sich, dass bei den mit Lecanemab behandelten Menschen der Krankheitsverlauf im Vergleich zur Kontrollgruppe um 27 Prozent verlangsamt werden konnte. Die beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler werten dies als wichtigen Erfolg. Die Behandlung führte auch zur Verbesserung der Lebensqualität bei den Patienten und einer Abnahme der Belastung bei den Pflegepersonen. Trotzdem schränkt Frölich ein: „Auch dieses Medikament wird die Krankheit nicht heilen, und die Langzeitwirksamkeit muss sich erst noch beweisen.“
Auch war die Behandlung nicht ohne Nebenwirkungen, am häufigsten Infusionsreaktionen (bei 26,4 Prozent der Patienten unter Lecanemab, bei 7,4 Prozent unter Placebo). Eine spezifische Nebenwirkung von Lecanemab und anderen Amyloid-Antikörpern sind Auffälligkeiten in der Bildgebung − sogenannte „Amyloid-Related Imaging Abnormalities“ (ARIA). Diese zeigen sich als kleine Einblutungen ins Gehirn (ARIA-H) bei 17,3 Prozent der Patienten unter Lecanemab und bei 9 Prozent unter Placebo oder als lokale Hirnschwellungen (ARIA-E) bei 12,6 Prozent und 1,7 Prozent der Patienten entdeckt. Diese Nebenwirkungen bleiben bei circa drei Viertel der Patienten ohne spürbare Symptome.
Weitere Forschung sei notwendig, insbesondere die Sicherheit der Behandlung müsse in längeren Studien weiter untersucht werden, sagt Frölich. Es wird erwartet, dass das Medikament im Jahr 2023 eine Zulassung in Europa erhält.
Alzheimer ist die häufigste Form der Demenz-Erkrankungen. Dabei gehen allmählich Nervenzellen und Nervenzell-Kontakte zugrunde. Über viele Jahre führt die Krankheit über Vergesslichkeit, Sprach- und Orientierungsstörungen sowie weitere umfassende kognitive Einbußen zu Pflegebedürftigkeit und Tod.
Publikation: C.H. van Dyck, C.J. Swanson, P. Aisen, R.J. Bateman, C. Chen, M. Gee, M. Kanekiyo, D. Li, L. Reyderman, S. Cohen, L. Froelich, S. Katayama, M. Sabbagh, B. Vellas, D. Watson, S. Dhadda, M. Irizarry, L.D. Kramer, and T. Iwatsubo: Lecanemab in Early Alzheimer’s Disease. N Engl J Med. 2022 Nov 29. doi: 10.1056/NEJMoa2212948.