Wann wird Social-Media-Konsum problematisch?
Problematisch wird der Konsum, wenn er zentrale Lebensbereiche beeinträchtigt – etwa die Schlafqualität, schulische oder berufliche Leistungen, soziale Beziehungen oder das eigene Wohlbefinden. Weitere Merkmale sind, dass Betroffene – trotz Bemühungen – die Nutzung nicht reduzieren oder kontrollieren können und trotz bereits eingetretener negativer Konsequenzen weiter fortsetzen. Wenn Social Media nicht mehr bewusst genutzt wird, sondern ganz „automatisch“ zum Handy gegriffen wird, ist besondere Vorsicht geboten.
Kann man dabei auch von einer Sucht oder suchtartigem Verhalten sprechen?
Ja, Betroffene können Verhaltensmuster zeigen, die mit substanzbezogenen Süchten und anderen Verhaltenssüchten vergleichbar sind, wie ein Kontrollverlust, zunehmende Nutzungsdauer, Entzugserscheinungen beziehungsweise Reizbarkeit wenn der Zugang beschränkt wird und ein anhaltender Konsum trotz negativer Folgen. In der Wissenschaft spricht man häufig von verhaltensbezogenen Süchten.
Bildschirmzeit als einzige Messgröße allein verrät noch nicht, ob ein problematischer Konsum vorliegt. Was sind weitere Parameter?
Genau, es kommt nicht nur auf die Quantität, sondern auch auf die Qualität an. Wichtige Parameter sind zum Beispiel der Kontrollverlust über das Nutzungsverhalten, die emotionale Abhängigkeit („FOMO“ – fear of missing out), Vernachlässigung anderer Aktivitäten oder eine emotionale Reaktion (beispielsweise Gereiztheit), wenn man keine Möglichkeit zur Nutzung hat.
Welche Folgen kann problematisches Konsumverhalten für die (psychische) Gesundheit haben?
Mögliche Folgen sind vermehrte Ängste, depressive Symptome, Schlafstörungen, Konzentrationsprobleme und ein vermindertes Selbstwertgefühl durch ständige Vergleiche mit nicht erreichbaren Idealen – besonders bei Jugendlichen. Auch ein gestörtes Körperbild kann durch den ständigen Vergleich mit idealisierten Darstellungen entstehen.
Nach wie vor ist nicht abschließend geklärt, ob die Zeit im Netz die seelische Verfassung verschlechtert oder ob Menschen, die zu Ängsten und Depressionen neigen, mehr von Social Media vereinnahmt werden. Wie ist der aktuelle wissenschaftliche Stand?
Die Forschung weist auf eine wechselseitige Beziehung hin: Menschen mit psychischer Vulnerabilität nutzen Social Media oft intensiver – möglicherweise zur Ablenkung oder Selbstregulation. Gleichzeitig kann der Konsum bestehende Symptome verstärken, etwa durch Vergleichsdruck oder Cybermobbing. Wichtig ist der Kontext der Nutzung – also wie, wann und warum konsumiert wird.
Welche Mechanismen halten uns so lange auf den Plattformen?
Die Plattformen arbeiten mit psychologischen Prinzipien wie intermittierender Verstärkung (wie Belohnungen für längere und aktive Nutzung), sozialer Bestätigung (zum Beispiel Likes und Aufrufe), endlosem Scrollen („infinite scroll“) und personalisierten Inhalten, die uns möglichst lange binden. Es entsteht eine Art Belohnungsschleife, die schwer zu durchbrechen ist.
Welche Maßnahmen können helfen, ein problematisches Verhalten zu behandeln oder zu verhindern?
Wichtig ist zunächst eine ehrliche Selbstbeobachtung: Wann greife ich zum Handy? Wie fühle ich mich dabei? Digitale Achtsamkeit, Bildschirmzeitlimits, bewusste Offline-Zeiten oder auch „digitale Entgiftung“ (Digital Detox) können hilfreich sein. Bei stärkeren Problemen helfen verhaltenstherapeutische Ansätze.
Inwiefern ist Social Media Thema in Ihren Therapiegesprächen?
Gerade bei jüngeren Patient:innen oder bei Angstsymptomatik, Schlafstörungen und depressiven Verstimmungen ist die Nutzung von Social Media ein häufiges Thema. Auch wird häufig davon berichtet, dass ein Druck verspürt wird den präsentierten (unrealistischen) Idealen nachzueifern. Dies wird als belastend empfunden, da das Gefühl besteht dem nie gerecht werden zu können. Darüber hinaus berichten Patient:innen immer wieder von Cybermobbing. Oft zeigt sich, dass der Konsum nicht nur Symptom, sondern auch Verstärker psychischer Beschwerden ist und es lohnt sich, gemeinsam Strategien für einen gesünderen Umgang zu entwickeln.
Was können Angehörige oder Freunde tun, wenn sie problematischen Konsum bei Kindern oder Freunden wahrnehmen?
Zunächst ist ein offenes Gespräch sinnvoll. Es kann sehr hilfreich sein, interessierte Fragen zu stellen, die ein echtes Verständnis ermöglichen und gemeinsam herauszufinden, ob die Nutzung bereits zu Belastungen oder negativen Folgen führt. So kann eine Veränderungsmotivation gefördert werden und damit die Bereitschaft, eine bewusste Pause einzulegen. Auch konkrete Alternativen im Alltag können helfen, zum Beispiel gemeinsame Aktivitäten oder Hobbys. Besonders bei Kindern und Jugendlichen ist es wichtig, zusammen Regeln zu entwickeln – beispielsweise handyfreie Zeiten oder Räume. Und wenn die Belastung stark ist, sollte man nicht zögern, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.