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Mit dem Smartphone zu besserem Wohlbefinden

Digitale Gesundheitsanwendungen bieten eine große Chance im Bereich der Gesundheitsförderung, Prävention und Therapie. Am ZI wird ihre Wirksamkeit wissenschaftlich geprüft.

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Eine junge Frau sitzt an einem See und schaut in ihr Smartphone.

Besonders junge Menschen, die oft lange brauchen, um in das psychiatrische Versorgungssystem zu gelangen, stehen App-basierten Trainings offen gegenüber. Foto: istockphoto.com © kaisersosa67

Das Smartphone vibriert und erinnert an die tägliche Entspannungsübung. Auf dem Chatfenster erscheint eine Nachricht, die freundlich dazu einlädt, die Übung „Atem zählen“ zu machen. Nach einer kurzen Bestätigung und dem Klick auf „Play“ ertönt ein Gong und schon kann es losgehen: Den Oberkörper aufrichten, die Augen schließen, einatmen und in Gedanken bis fünf zählen – ausatmen und erneut bis fünf zählen.

Durch den gleichmäßigen Rhythmus und das Lenken der eigenen Aufmerksamkeit auf die Atmung soll mehr Entspannung in den Alltag kommen. Diese dreiminütige Übung ist eine von mehreren, überwiegend mitgefühlsorientierten Inhalten, die den 92 Teilnehmenden der EMIcompass-Studie in der sechswöchigen Studienphase in einer App vorgeschlagen werden. Zu einer vorher vereinbarten Zeit können sie diese mit dem Smartphone selbstständig in ihren Alltag integrieren.

Kaum wissenschaftliche Evidenz

Die App ist Teil einer Studie, die den Einsatz sogenannter mHealth- oder Mobile-Health-Interventionen wissenschaftlich untersucht. EMI steht dabei für Ecological Momentary Intervention, also eine digitale Intervention. „Es haben sich in den vergangenen Jahren viele Lifestyle- und Gesundheitsapplikationen für das Smartphone entwickelt, allerdings haben wir kaum wissenschaftliche Evidenz für die Sicherheit und Wirksamkeit solcher Anwendungen“, sagt Prof. Dr. Ulrich Reininghaus, Leiter der Abteilung Public Mental Health am ZI. Um dies zu ändern, hat Reininghaus mit seinem Team zahlreiche Studien initiiert, die untersuchen, wie wirksam digitale Interventionen sind.

„Für die EMIcompass-Studie haben wir Personen im Alter zwischen 14 und 25 Jahren gesucht, die sich im Alltag gestresst fühlen, ein höheres Risiko für eine psychische Erkrankung oder auch erste Symptome einer Erkrankung haben“, erklärt Dr. Anita Schick, wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Public Mental Health. Vor allem junge Frauen in der Ausbildung waren unter den Teilnehmenden.

Die Forschenden fragten die Teilnehmenden sechs- bis achtmal am Tag über die Studien-App nach ihrer Stimmung, ihren Gefühlen, was sie gerade machen, ob sie alleine sind oder mit anderen zusammen. Auch der weitere Kontext, beispielsweise ob ein stressiges Ereignis aufgetreten ist, wird per App ermittelt. Diese Abfragen werden als Ecological Momentary Assessment (EMA) bezeichnet und liefern wertvolle Daten, die in der App dazu benutzt werden können, das Training auf die jeweilige Person zuzuschneiden und bestimmte Übungen zu passenden Zeiten anzubieten.

Stressreaktivität verbessern 

„Wir haben uns in EMIcompass besonders dafür interessiert, wie die Teilnehmenden auf Stress reagieren, wie stark sich die Stimmung negativ verändert und negative Gefühle auftreten“, erläutert Schick. Durch die Datenerhebung im Alltag vor und nach der sechswöchigen Studienphase lässt sich beispielsweise erkennen, ob und wie sich die Reaktion auf Stress verändert. „Aus anderen Studien wissen wir, dass gerade bei Personen mit einer Psychose oder anderen psychischen Erkrankungen die Stressreaktivität deutlich höher ist als in der Kontrollgruppe“, sagt Schick.

Deshalb haben die Forschenden in der EMIcompass-App Übungen zusammengestellt, die Entspannung und Beruhigung begünstigen und auf der mitgefühlsorientierten Therapie (Compassion-focused Therapy) basieren. Damit ein Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit entsteht, soll die Fähigkeit gestärkt werden, sich selbst anzunehmen und Mitgefühl für sich und andere zu entwickeln.

Akzeptanz und Effektivität der Übungen

Die einzelnen Übungen dauern nicht länger als fünf Minuten, damit sie auch im Alltag gut in einer Pause gemacht werden können. „Eine Übung wird in einem kurzen Video erläutert und die Teilnehmenden können eine Woche lang üben. Man braucht bei mitgefühlsorientierten Übungen eine Weile, bis man die Übung beherrscht“, sagt Schick.

„Anhand der Daten aus den EMA-Erhebungen zur Stimmung konnten wir sehen, ob jemand gerade sehr gestresst ist, und dann hat die App eine entsprechende Übung vorgeschlagen, die helfen könnte, besser aus der negativen Stimmung herauszukommen“, sagt Schick. In EMIcompass sei die Akzeptanz, die Übungen anzuwenden, sehr hoch gewesen. Häufig kann es sinnvoll sein, die Nutzung solcher Apps mit Vor-Ort-Sitzungen zu verbinden, denn dann sei die Motivation der Teilnehmenden, die Übungen auch tatsächlich regelmäßig zu machen, am höchsten.

Digitale Interventionen als niederschwelliges Angebot

Digitale Gesundheitsanwendungen bieten viele Chancen. „Wir haben einen erheblichen Anteil an Menschen in der Bevölkerung, die psychisch stark belastet sind. Gerade bei jungen Menschen wissen wir, dass drei Viertel vor dem 25. Lebensjahr eine psychische Erkrankung entwickeln. Auf der anderen Seite haben wir das Problem, dass gerade junge Menschen sehr lange brauchen, um in unser psychiatrisches Versorgungssystem zu kommen“, betont Ulrich Reininghaus. Bei Psychosen beispielsweise dauere es teilweise mehr als zehn Jahre, bis zum allerersten Mal eine Therapie in Anspruch genommen werde. „Wir haben Barrieren und natürlich auch lange Wartelisten für psychotherapeutische Behandlung. Daher können digitale Interventionen eine Möglichkeit sein, frühzeitig ein erstes, niederschwelliges Angebot zu machen“, sagt Reininghaus.

Smartphone als ständiger Begleiter 

„Da jeder im Alltag sein Handy stets zur Hand hat, bietet sich die Möglichkeit, genau dann zu üben, wenn die Übungen am dringendsten gebraucht werden“, sagt Schick. Hier liege auch einer der Vorteile von digitalen Anwendungen.

Ermutigend finden die beiden Forschenden, dass etliche Teilnehmende bei EMIcompass eine vorher festgelegte Mindestanzahl von Übungen deutlich überschritten haben. „Wir sehen, dass es eine hohe Akzeptanz für App-basierte Trainings gibt“, sagt Schick. In weiteren Studien ist nun unter anderem zu klären, wie die Motivation der Teilnehmenden gestärkt werden kann, wie viel Freiheiten die Nutzenden benötigen oder welche Anzahl an Übungen für einen Effekt notwendig ist. Über Interviews wollen die Forschenden zudem mehr darüber erfahren, wie die Übungen auf die Teilnehmenden gewirkt haben, wie sie selbst mögliche Effekte wahrgenommen haben und wo Barrieren und Hemmnisse liegen.

Herausforderungen bei der Datenerhebung

Die Datenerhebung ist bisweilen aufwendig. Bei Studien sind oft sechs bis zehn Stimmungsabfragen pro Tag üblich, das heißt rund alle zwei Stunden meldet sich das Smartphone mit einer Abfrage. Zwar sind die Fragen immer dieselben und es stellt sich eine gewisse Routine bei der Beantwortung ein. Trotzdem werden nicht immer alle Abfragen gemacht. „Rund 60 Prozent der Stimmungsabfragen werden beantwortet“, sagt Schick. Es könne natürlich auch vorkommen, dass sich Teilnehmer durch die Abfragen stark unter Druck gesetzt fühlen. Dann sind Anpassungen notwendig. „Wenn eine Person anhaltend eine negative Stimmung berichtet und sich über die Zeit daran kaum etwas ändert, kann das dazu führen, dass sich die Person noch hilfloser fühlt“, erklärt Schick. Dann ist anderweitige therapeutische Hilfe gefragt.

Die Stärke von EMA und EMI

Die Stärke von EMA und EMI liegt darin, im Alltag nah an den Menschen zu sein. Ein Stimmungstagebuch lässt sich natürlich auch auf Papier führen. Wenn eine App in Kombination mit einer Therapie eingesetzt wird, stehen die EMA-Daten aber den TherapeutInnen unmittelbar zur Verfügung und können wertvolle Hinweise für eine Intervention geben und zur gezielten Vorbereitung einer Therapiesitzung dienen.

Trotzdem bleibt es stets eine Herausforderung, die wichtigen Momente zu erfassen, die tatsächlich Aufschluss über die Stimmung eines Menschen geben. „Es kann ja sein, dass die Person gerade gestresst ist und deshalb nicht auf die Abfrage auf dem Smartphone reagiert“, gibt Schick zu bedenken. In einem solchen Fall sei es hilfreich, weitere Daten zu erfassen, beispielsweise Bewegungsdaten oder physiologische Parameter, um zusätzliche Kontextfaktoren zu kennen und Übungen und Hilfen gezielt anbieten zu können.

Zukünftige Studien

Digitale Interventionen können als Gesundheitsförderung, Prävention oder auch als Therapie konzipiert werden und sich an gesunde, belastete oder auch psychisch erkrankte Menschen richten. „In unserer Abteilung decken wir alle diese Bereiche ab“, sagt Ulrich Reininghaus. Die EMIcompass-Studie hat einen präventiven Ansatz. Menschen, die belastet sind oder ein erhöhtes Risiko für eine psychische Erkrankung haben, entwickeln unter Stress eher negative Gefühle. Das App-basierte Training soll die Teilnehmenden stärken und ihre Stressreaktivität verbessern. „Wir konnten zeigen, dass das App-basierte Training hilfreich ist und einen positiven Effekt auf die Art und Weise hat, wie Menschen auf Stress reagieren“, resümiert Schick. Um weitere Fragestellungen beantworten zu können, ist bereits die nächste Studie in Planung, die eine größere Anzahl an Teilnehmenden umfassen und an mehreren Standorten durchgeführt werden soll.



Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) - https://www.zi-mannheim.de